Erfahrungsbericht von Barbara

Sanja, ein voll gestilltes Spaltbaby

 

Mein Name ist Barbara Hamich, ich bin 37 Jahre alt und arbeite seit 15 Jahren als Physiotherapeutin. Mein Mann Sven ist 35 Jahre alt und Entwicklungsingenieur der Medizintechnik. 2003 wurde unser erster Sohn Julius geboren, sein 21 Monate jüngerer Bruder Frederik kam 2005 zur Welt. Unsere Tochter Sanja kam genau zwei Jahre nach Frederik mit einer linksseitigen breiten durchgehenden Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt und konnte nach ihrer Verschluss-OP mit 7 Monaten voll gestillt werden. Wir wohnen seit 1996 in Ulm und gehen gerne in die Berge und verbringen unsere Freizeit häufig beim Klettern.

Hatten Sie vorherige Stillerfahrung? Hat sie Ihnen beim besonderen Stillen mit Sanja geholfen ? Ich habe meine ersten beiden Kinder sechs Monate voll und dann nochmals sechs Monate zusätzlich zur Breikost gestillt. Julius hat sich dann mit ca. 15 Monaten selbst abgestillt, nachdem ich bereits mit Frederik schwanger war. Frederik wurde 16 Monaten gestillt. Sanja wollte ich sehr gerne genauso lang stillen, wie ihre Brüder. Meine Stillerfahrung hat mich darin bestärkt, es bei Sanja mit allen Mitteln intensiv zu versuchen. „Normales“ Stillen zu kennen war für mich sehr wichtig, um bei Sanja Fehlversuche zu erkennen und sie immer wieder sanft bei den richtigen Bewegungen zu unterstützen. Mein Wissen das ich Kinder ohne Spalten stillen konnte hat mir sicher die nötige Geduld und Ausdauer gegeben um den schweren Weg mit Sanja zu gehen und nicht an mir selbst zu verzweifeln.

Was bedeutet für Sie Muttermilchernährung? Wie wichtig ist sie Ihrer Meinung nach?

Meine Hauptmotivation war das muskuläre Training beim Stillen, welches die physiologische Mundmotorik ausbildet und bei der Stillbewegung automatisch abläuft. Dadurch habe ich mir erhofft, dass Sanja eine normalere Sprachentwicklung und normalere Mimik entwickeln würde. Ob dieser Zusammenhang wirklich gegeben ist, kann ich nicht beurteilen, ich hatte lediglich Hinweise darauf im Internet und in der Literatur gefunden.

Auch bedeutet für mich Muttermilchernährung: sich keine Gedanken machen zu müssen, ob und wie viel ein Kind trinken sollte.

Eine Milch füttern zu können, die die für mein Kind nötigen Antikörper enthält, so dass mein Kind weniger anfällig für Krankheiten ist, war mir ebenso wichtig, wie durch das Stillen eine innige Beziehung zu meinem Kind aufbauen zu können.

Es hat bei mir auch dazu geführt, dass ich mich selbst bewusster ernährt habe.

Waren Sie von Anfang an überzeugt stillen zu wollen?

  • Seit meine Mutter meinen kleinen Bruder vor meinen Augen gestillt hat, stand für mich fest, dass ich meine Kinder irgendwann natürlich auch stillen werde. Wir haben erst bei der Geburt von Sanjas Spalte erfahren und schon beim ersten Blick war mir klar, dass es nicht mit „natürlichem“ Stillen klappen konnte.
  • Ich bekam schon im Kreissaal eine Milchpumpe.

Gab es Menschen, die Sie in ihrem Stillwunsch verstanden und unterstützt haben? Gab es auch negative Stimmen?

Mein Mann, meine Hebamme und zwei gute Freundinnen und eine Logopädin, die inzwischen auch eine Freundin geworden ist, haben mich in meinem Wunsch zu stillen stark unterstützt. Ebenso Prof. Sader, der Operateur meiner Tochter und die Stillberaterin Frau Gouth-Gumberger, die ich nach fünf Monaten „rumstillen“ über ein Forum empfohlen bekommen habe. Prof. Haase der Wohnort nahe zuständige Mund-Kiefer-Gesichtschirurg hatte mir am Tag nach Sanjas Geburt geraten, sie mit Muttermilch zu ernähren, mir aber gesagt, dass er noch nie von einem LKGS Kind gehört hätte, dass gestillt worden sei. Meine Eltern und Schwiegereltern waren teilweise verunsichert, weil alles so kompliziert war, haben mich aber unterstützt, wo und wann immer sie konnten.

Wie hat Ihnen die Laktationsberaterin geholfen?
Als Sanja geboren war und sie mit vier Wochen meine Brüste im Mund tolerierte und dann mit großer Zufriedenheit auf meine Brustwarzen herumlutschte, war es für mich ein großes Geschenk. Das Stillen klappt jetzt – dachte ich und meine Hebamme bestärkte mich in meiner Annahme. Eine Woche habe ich sie gestillt, ohne sie zuzufüttern. Sie wirkte in dieser Zeit nicht unzufrieden. Schlief normal und hatte ca. 3-4 Stunden zwischen zwei Stillmahlzeiten. Doch nach dieser Woche hatte Sanja abgenommen und ich hatte deutlich weniger Milch. Dieser Fehler wäre nicht passiert, wenn ich in dieser Phase eine mit LKGS-Kindern -erfahrene Laktationsberaterin gehabt hätte. Dies soll kein Vorwurf an meine Hebamme sein. Ich habe dann wieder angefangen abzupumpen und Sanja mit dem Habermannsauger zuzufüttern.
Dann habe ich immer wieder im Internet oder telefonisch versucht Kontakt zu Müttern aufzunehmen, die ihre LKGS-Kinder gestillt hatten.
Sanja war knapp fünf Monate alt, als ich Kontakt zu Frau Guoth-Gumberger bekam.
Erst hatten wir e-mail Kontakt und dann ging alles übers Telefon. Im Erstgespräch haben wir zwei Stunden über sämtliche Details von Abpumpen übers Anlegen übers Zufüttern, über die Gewichtszunahme von Sanja, ihrer damaligen Spuckproblematik, über die Lagerung, Kühlung und Erwärmung der Muttermilch und über das BES gesprochen.
Sie hat mich auf eine wunderbare Art und Weise ermutigt weiterzustillen, trotz schmerzender Unterarme und Nackenbeschwerden durchs „ewige Abpumpen“ und „Stillen“. Das Abpumpen konnte ich danach optimieren. Endlich hatte ich das Gefühl meine Fragen durch eine kompetente und erfahrene Person beantwortet zu bekommen, die bei jedem Thema meine bisherigen Bemühungen außergewöhnlich wertgeschätzt hat und mein Selbstwertgefühl gesteigert hat. Ich war wieder frisch motiviert einen anderen Weg einzuschlagen, nämlich Sanja direkt an der Brust zu zufüttern mittels BES. Damit sie noch vor ihrer OP lernen würde, nur an meiner Brust satt zu werden. Die Handhabung des BES war für mich schwierig, immer wieder bin ich die Schritte im Kopf durchgegangen die nötig waren, bevor Sanja nun an meine Brust konnte. BES-Fläschchen mit 120 ml zimmerwarmer Milch füllen, auf den Kopf stellen und mit dicken Schläuchen versehen und zuschrauben, Schläuche einrasten und BES-Fläschchen zuschrauben, Loch zuhalten und umdrehen, als Test, ob dicht, dann Kordel mit Hacken um Hals hängen, Fläschchen einhängen,  beide Schläuche an eine Brustwarze kleben, dann Stillkissen (mybrestfriend) umbinden, T-shirt anziehen, damit Sanja nicht die Schläuche abreisst, dann möglichst hungriges aber noch nicht schreiendes Kind richtig positionieren, mit gegenseitiger Hand Brustwarze in Sanjas Mund drücken und mit anderer Hand Schläuchlein lösen. Wenn das alles reibungslos geklappt hat, dann waren in ca. 30 Minuten die 120 ml in Sanjas Mund durchgetropft, sie war satt und ich konnte dann noch 10 Minuten beidseits abpumpen für die nächste Mahlzeit, Pumpset und BES-System mit heißem Wasser ausspülen und dann drei Stunden Zeit!!
Dreimal sind mir Schläuche gerissen, oft hat sich ein Schläuchlein selbständig gemacht und ein Teil der Milch hat Sanjas und meine Kleider mit Milch getränkt. Zuerst habe ich es bei einer Mahlzeit probiert, dann bei allen Mahlzeiten tagsüber, nach ein paar Tagen habe ich es dann auch nachts mal geschafft. Doch in der Regel habe ich nachts und unterwegs noch den Habermannsauger verwendet und sonst das BES benutzt.
Schön war auch Frau Gumbergers starker Zuspruch im Zeitraum vor der OP. Sie hat mir das Gefühl gegeben gedanklich bei uns zu sein und hat uns schon vor der OP stark gemacht für die entscheidende Zeit nach der OP. Am Tag der OP habe ich Sanja dann ihre Muttermilch über die Magensonde gegeben und am Tag danach habe ich es schon mit BES probiert, doch mit BES hat es erst am zweiten Tag nach ihrer OP geklappt.
Zwei Wochen nach der OP waren wir auf einer Berghütte – oh Schreck – ich hatte den Kleber für die Schläuchlein vergessen. Meine Haut war eh schon sehr empfindlich geworden, also habe ich es ohne BES probiert. Es fühlte sich „sehr gut“ an, wie sie erst noch mit lauten Schmatzgeräuschen saugte. Beim anschließenden Abpumpen kam fast nichts mehr. (Milch weg – oder leer getrunken?) Nach dem Wochenende hatte Sanja 100 g zugenommen. Wir hatten es geschafft. Ein Lottogewinn fühlt sich bestimmt nicht besser an.
  

Was hat Ihnen die Kraft gegeben weiter zu machen – durch zu halten? Die Aussicht, nach der Verschlussoperation mit sechseinhalb Monaten, noch vielleicht weitere sechs bis zwölf Monate normal stillen zu können. Das Buch „Gespaltenen Gefühle“, indem ich beim Lesen immer wieder das Gefühl hatte, dass ich durch weitere Stillversuche das bestmögliche für meine kleine Tochter tun würde. Die Spalte konnte ich nicht weghexen, aber beim Stillen konnte ich mich anstrengen.

Wie haben Sie sich familiär organisiert?

Die familiäre Situation war nicht einfach: Frederik und Julius waren zum Zeitpunkt von Sanjas Geburt knapp zwei und knapp vier Jahre alt. Beides äußerst lebhafte und kreative Jungs, die beide eine permanente Aufsicht brauchten. Mein Mann konnte insgesamt vier Monate Elternzeit nehmen, meine Eltern (die weit weg wohnen) waren drei Wochen bei uns. Frederik hat auf Antrag vorzeitig einen Kindergartenplatz bekommen als Sanja drei Monate alt war. Eine Woche habe ich eine Haushaltshilfe von der Krankenkasse bekommen. Wir haben es so geschafft, dass ich Sanjas erste sechs Lebensmonate nicht mit ihr und ihren beiden Brüdern allein war. Abpumpen, stillen und nachfüttern hat teilweise pro Mahlzeit 1,5 Stunden gedauert. Dann noch Einkaufen, Essen kochen, Wäsche waschen und Kinder beaufsichtigen hätte ich nicht geschafft. An manchen Tagen konnte ich den Stress an der geringeren Abpumpmenge oder Milchstau sehen.

Welche Erfahrung haben Sie mir dem Abpumpen gemacht (wie, wann, wo wurde gepumpt)? Ich habe im Wohnzimmer auf dem Sofa mit der Medelapumpe beidseits abgepumpt. Nach der Geburt alle drei Stunden ca. 30 Minuten, dann später 4-5 x täglich ca. 20 Minuten, als Sanja fünf Monate alt war 6x täglich, dafür nur ca. 10 Minuten. Pro Pumpvorgang habe ich ca. 150 – 200ml gepumpt und habe täglich ca. 150ml mehr gepumpt, als Sanja getrunken hat, damit sie durch die Überproduktion leicht an die Milch aus meiner Brust kommen sollte. Erst habe ich den Gefrierschrank gefüllt und dann habe ich meinen Söhnen mit der Restmilch Bananenmilch oder „Babyfläschchen“ gemacht. Nach vier Monaten war ich so routiniert, dass ich im Urlaub bei meinen Eltern mit Handpumpe im Zoo, in einer Seitenstraße der Kölner Fußgängerzone, im Freibad und auf dem Spielplatz gepumpt habe.

Welche Erfahrung haben Sie mit dem Zufüttern (Muttermilch) gemacht (wie, wann, wo)?

  • Zugefüttert habe ich anfangs mit einem Gaumenspaltesauger aus Silikon oder einer kleinen Spritze, mit BES (Medela Brusternährungsset) in Kombination mit Stillhütchen vorübergehend mit 11 Tagen bis vier Wochen bis sie meine Brust auch ohne Hilfsmittel akzeptiert hatte, mit Habermannsauger drei Monate lang nach jeder Stillnuckelmahlzeit an der Brust, Fingerfeeding mit BES mit Loch, ab ca. fünfeinhalb Monaten dann ausschließlich mit BES mit Loch bis zur „großen OP“ danach weiterhin mit BES. Zwei Wochen nach der OP konnte sie dann ohne Hilfsmittel an meiner Brust satt werden und musste von diesem Zeitpunkt an nicht mehr Muttermilch zugefüttert bekommen. Mit einem guten dreiviertel Jahr hat sie dann begonnen am Tisch mitzuessen. Zusätzlich habe ich sie aber weiterhin nach Bedarf gestillt. Als Sanja eindreiviertel Jahre alt war, war ich krank und brauchte Medikamente. Dies war für mich der Moment mit Stillen aufzuhören. Ich habe dann noch einige Monate die eingefrorene Milch zu irgendwelchen Milchbreien verarbeitet, diese hat sie dann selbständig mit gutem Appetit gelöffelt.
  • Entscheidende Erleichterung hat das Loch im BES gebracht: Mit einer heissen Nadel haben wir ein winziges Loch in den erhabenen Buchstaben „a“ auf dem Behälter des BES gestochen. Dieses Loch dient der Belüftung. Dadurch lässt sich das Loch allein durch Tasten finden. Beide Schläuche werden an einer Brust angeklebt. So tropft die Milch stetig durch beide Schläuche heraus. Durch verschiedene Schlauchdicken und Abklemmen eines Schlauches kann die Tropfgeschwindigkeit je nach Bedarf variiert werden. Wenn man das Loch mit dem Finger zuhält und auf den Behälter drückt, erhält das Baby einen Strahl Milch zur Ermutigung. (siehe auch Bericht Gesichter 2/2009 „ Interview mit der Laktationsberaterin Marta Guoth-Gumberger“)

Nach welchem OP-Konzept wurde Ihr Kind operiert?

Sanja wurde in Frankfurt von Prof. Sader nach dem „Basler Konzept“ operiert:

  • Sie bekam mit 10 Tagen eine Gaumenplatte angepasst, die sie 24 Stunden pro Tag (Reinigungszeit geht natürlich ab) getragen hat.
  • Ab der zweiten Lebenswoche hat Sanja wöchentlich ein Mal Physiotherapie nach Castillo-Moralis bekommen. Als Physiotherapeutin habe ich die Gesichtsmassagen nach jeder Mahlzeit wiederholt.
  • Mit drei Monaten und 5Kg Körpergewicht wurde ihre Lippe geheftet. Danach brauchte sie keine Gaumenplatte mehr.
  • Mit sechseinhalb Monaten und 6 kg Körpergewicht wurden ihr weicher Gaumen, harter Gaumen, Kiefer und Lippe, sowie Nase operiert. Für mich war das Konzept in Frankfurt schlüssig, ich habe schnell Vertrauen zu Prof. Sader entwickelt. Mein Mann hatte über ihn im Internet gelesen, als Sanja acht Tage alt war.

Hat sich die Mühe des besonderen Stillens gelohnt?

Ja! Sanja war im ersten Lebensjahr nicht krank und hatte bis heute keine Ohrenentzündung und ist weiterhin selten erkältet. Ihre Sprachentwicklung ist altersentsprechend, wird aber auch durch logopädische spielerische Übungen unterstützt. Sie ist selbstbewusst, fröhlich, hat sich schnell mit 18 Monaten im Kindergarten eingelebt, ihr Oberkiefer entwickelt sich normal, ihre Narbenbildung ist unauffällig. Auch hier können wir nicht sagen ob oder welche Punkte durch das Stillen beeinflusst worden sind. Rückblickend war das erste halbe Jahr mit Sanja sehr anstrengend und belastend, doch die Zeit danach hat uns für alle Mühen entschädigt.

 

Interessierte Eltern dürfen gerne Kontakt mit uns aufnehmen.
s.hamich@gmx.de
 

 

Liebe Barbara, vielen Dank für das interessante Interview!

Ich hoffe, dass Deine Erfahrungen anderen Müttern helfen wird ihr Baby mit Spaltfehlbildung zu stillen.

 

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